Gedanken zum Monatsspruch

»Entsetzt euch nicht! Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden, er ist nicht hier. Markus 16,6.

»Weiter, immer weiter«. Oliver Kahns Mantra zur Alltags- und Krisenbewältigung gibt treffend wieder, wie die gesellschaftliche Grundhaltung zur Lebensführung aussieht. In ökonomischer Steigerungsform müsste es sogar heißen: »Mehr, immer mehr«. Wachstumsbeschleunigung oder mindestens Wachstumschancen müssen gesetzlich gesichert werden. Sonst droht das Chaos. Ein Ausstieg aus der durchs immer weiter, immer mehr bestimmten (Lebens) Geschichte kann da nur abgedreht, weltfremd, irrsinnig wenn nicht gar »entsetzlich« sein.

So ist es. Im Markus-Evangelium ist die erste (Mk 1,27) und die letzte Reaktion (Mk 16,6) von Menschen darauf, was Jesus tut, darauf, was mit ihm und durch ihn geschieht, »Entsetzen«. Menschen können, was sie mit ihm und an ihm erleben, nicht einordnen in den Lauf der Dinge. Sie haben keine Kategorien, die das Erlebte ins Kontinuum des Seins einbinden. Zumal die Auferstehung stellt einen radikalen Bruch mit der Geschichte als Todesgeschichte als Geschichte des Immer weiter, Immer mehr dar.

Nun setzen alle anderen Evangelium, alle Briefe des Paulus, nahezu alle Schriften des Neuen Testamentes der abgebrochenen Geschichte des Todes eine Geschichte neuen Lebens in und mit und durch Jesus Christus entgegen. Der Auferstandene ist und bleibt als Beginn des neuen Seins gegenwärtig. Seine Präsenz wird unterschiedlich ausgesagt etwa als Erhöhter (mit der Kirche als neuem Leib), als neues Prinzip des gesamten Kosmos, in seiner Zusage »ich bin bei euch bis an der Welt Ende«, als Heiliger Geist, in Taufe und Abendmahl, oder zumindest in seiner ethischen Lehre. Auf diese Gegenwart als (vermeintlich) festes Fundament ließ sich die Kirche bauen. Die (miß)verstand sich dann all zu oft als geschichtsmächtige Institution mit eigenem Immer weiter.

Nicht so im Markus Evangelium: auf das Entsetzen der Maria aus Magdala, der Maria, Mutter von Jakobus und der Salome antwortet der Engel nicht mit der Botschaft von Jesu Anwesenheit, sondern mit der seiner Abwesenheit: »Jesus von Nazareth, der Gekreuzigte, er ist nicht hier.« Es gibt im Markus-Evangelium keine Gegenwart des Auferstanden. Es gibt die Rückkehr an den »Anfang des Evangeliums Jesu Christi« (Mk 1,1) in Galiläa. Es gibt die Nachfolge des abwesenden Jesus. Es gibt die verstörende und erstaunende, auch zu Gottes Lob befreiende Erinnerung an Jesus von Nazareth, eine Wiederholung der Lektüre all dessen, was von ihm als dem umstrittenen Christus und Sohn Gottes zu sagen ist, ein Durcharbeiten der mit ihm verbundenen Traumata und Heilungen; es gibt die Erwartung seiner Wiederkehr, wenn er von neuem den Wein mit uns trinken wird; und es gibt das andrängende, nahe kommende, verwirrende, das Oberste zu unterst kehrende Reich Gottes. Eine Anwesenheit des Auferstandenen gibt es wie gesagt im Markus-Evangelium nicht.

In der Feier des Osterfestes feiern wir zumeist die Präsenzen Jesu. Ohne zumindest ein Moment seiner verstörenden Abwesenheit sollten wir es nicht begehen. Sie gemahnt daran, dass es so nicht weiter gehen kann.

M. Hentschel    



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